Ein Krieg. So beschreiben viele die Jahre 2015 bis 2017 in der Bitcoin-Community. Nicht mit Waffen, versteht sich – sondern mit Code, Ideologien und dem fundamentalen Streit darüber, was Bitcoin eigentlich sein soll. Am Ende dieser turbulenten Phase stand eine Spaltung, die bis heute nachwirkt: Bitcoin Cash.
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Stell dir vor, Bitcoin wächst exponentiell. Immer mehr Menschen nutzen das Netzwerk, die Transaktionen häufen sich, und plötzlich – Stau. Anfang 2017 erreichten die Bestätigungszeiten über 20 Stunden, Gebühren schossen auf teilweise mehr als 50 Dollar pro Transaktion. Das ursprüngliche Versprechen eines dezentralen, günstigen Zahlungssystems? Schien sich in Luft aufzulösen.
Die Ursache lag tief im Protokoll vergraben: das 1-MB-Blockgrößen-Limit. Satoshi Nakamoto hatte es 2010 als Anti-Spam-Maßnahme eingeführt – ein temporärer Fix, wie manche argumentieren. Doch was temporär gedacht war, wurde zur unüberwindbar scheinenden Barriere. Jeder Block konnte nur eine begrenzte Anzahl an Transaktionen aufnehmen, und als die Nachfrage explodierte, bildete sich ein Flaschenhals.
Big Blockers vs. Small Blockers
Zwei Lager kristallisierten sich heraus. Auf der einen Seite die „Big Blockers“ – Entwickler, Miner und Unternehmer, die eine simple Lösung favorisierten: Blockgröße erhöhen. Mehr Platz, mehr Transaktionen, niedrigere Fees. Logisch, oder?
Nicht für die „Small Blockers“. Bitcoin Core-Entwickler argumentierten vehement gegen eine solche Erhöhung. Ihre Begründung? Größere Blöcke würden die Dezentralisierung gefährden. Full Nodes – jene Computer, die die gesamte Blockchain speichern und validieren – bräuchten mehr Speicherplatz, mehr Bandbreite. Kleinere Akteure könnten verdrängt werden, das Netzwerk würde zentralisierter. Eine gefährliche Entwicklung für ein System, das auf Dezentralität basiert.
Dazu kam ein weiterer Aspekt: Skalierung über Second-Layer-Lösungen. SegWit (Segregated Witness), eingeführt 2017, war ein Kompromiss – kein direktes Blockgrößen-Upgrade, sondern eine clevere Umstrukturierung der Transaktionsdaten, die effektiv mehr Platz schuf. Doch für die Big Blockers war das zu wenig, zu spät.
Die Eskalation
Im Frühjahr 2017 spitzten sich die Dinge zu. SegWit2x wurde als Kompromiss vorgeschlagen – SegWit aktivieren, dann die Blockgröße verdoppeln. Doch die Core-Entwickler lehnten ab, misstrauten den Initiatoren (vor allem großen Mining-Pools aus China). Das Vertrauen war zerrüttet, die Community tief gespalten.
Am 1. August 2017 fiel schließlich die Entscheidung. Eine Gruppe von Entwicklern und Minern – angeführt von Persönlichkeiten wie Roger Ver und Amaury Séchet – forcierte einen Hard Fork. Der erste „contentious fork“ in Bitcoins Geschichte. Um die Abspaltung zu garantieren, wurde eine Regel implementiert: Am 1. August muss ein Block größer als 1 MB gemined werden. So geschah es.
Bitcoin Cash war geboren – mit einem initialen Blockgrößen-Limit von 8 MB. Die ersten Monate waren… chaotisch. Jeder Bitcoin-Holder erhielt automatisch die gleiche Menge BCH – ein Airdrop im wahrsten Sinne. Der Markt reagierte volatil, die Preise schwankten extrem. Zunächst notierte BCH bei etwa 300 Dollar, schoss dann auf über 4.000 Dollar im Dezember 2017 (parallel zum generellen Krypto-Boom), nur um danach abzustürzen.
Die Vision: Bitcoin als Cash
Roger Ver, oft als „Bitcoin Jesus“ bezeichnet (eine Anspielung auf sein frühes Engagement), wurde zum lautstärksten Befürworter. Seine Message war klar: Bitcoin Cash ist das wahre Bitcoin. Der ursprüngliche Plan von Satoshi – ein peer-to-peer electronic cash system – würde nur durch BCH verwirklicht. BTC sei zum Spekulationsobjekt verkommen, nicht mehr geeignet für alltägliche Zahlungen.
Die Community hinter BCH fokussierte sich auf Adoption als Zahlungsmittel. Händlerintegration, günstige Fees, schnelle Bestätigungen – das waren die Versprechen. Und tatsächlich: Mit 8 MB pro Block (später erhöht auf 32 MB) waren die Transaktionskosten minimal, oft unter einem Cent.
Technische Entwicklungen
Neben der Blockgröße implementierte BCH weitere Änderungen:
- Angepasster Difficulty-Adjustment-Algorithmus: Um zu verhindern, dass Miner zwischen BTC und BCH hin- und herspringen (was die Netzwerksicherheit gefährdet hätte), wurde ein dynamischerer Difficulty-Algorithmus eingeführt.
- Replay-Protection: Transaktionen auf der BCH-Chain sollten nicht versehentlich auch auf der BTC-Chain ausgeführt werden – ein technischer Schutzmechanismus.
- Verschiedene Signatur-Algorithmen: BCH experimentierte mit neuen kryptographischen Standards, um Sicherheit und Effizienz zu verbessern.
Die Entwicklung war agil, manchmal fast zu agil. Häufige Upgrades sorgten für Unsicherheit bei Börsen und Wallets – Kompatibilitätsprobleme traten auf, nicht alle Services unterstützten BCH von Anfang an.
Der zweite Split: BCH vs. BSV
Falls du dachtest, ein Fork reicht… denk nochmal nach. Im November 2018 kam es zum nächsten Drama. Bitcoin Cash selbst spaltete sich erneut – in Bitcoin Cash (BCH) und Bitcoin SV (Satoshi Vision, BSV).
Die Kontrahenten
Auf der einen Seite stand die ABC-Fraktion (Bitcoin ABC, die führende Implementierung), unterstützt von Roger Ver und Jihan Wu (Chef von Bitmain, dem größten Mining-Hardware-Hersteller). Auf der anderen Seite: Craig Wright, der australische Unternehmer, der behauptet, Satoshi Nakamoto zu sein (eine Behauptung, die weitgehend als Betrug gilt), unterstützt von Calvin Ayre und nChain.
Der Konflikt? Wieder einmal die Richtung des Protokolls. Wright wollte die ursprüngliche Bitcoin-Struktur wiederherstellen, bestimmte Opcodes reaktivieren, unbegrenzte Blockgrößen zulassen. ABC favorisierte einen pragmatischeren Ansatz mit kontrollierten Upgrades und neuen Features wie Canonical Transaction Ordering.
Der Hash War
Am 15. November 2018 war es soweit. Die beiden Lager starteten einen „Hash War“ – ein Wettrennen, wer mehr Mining-Power mobilisieren konnte, um die jeweilige Chain zu dominieren. Millionen von Dollar flossen in Mining-Equipment und -Betrieb. Wright drohte öffentlich: „We will bleed them.“ Die Rhetorik war aggressiv, persönlich, toxisch.
Am Ende behielt die ABC-Fraktion die Oberhand. BCH blieb BCH, BSV wurde zur eigenen Chain. Die Börsen entschieden mehrheitlich, dass ABC die legitime Fortsetzung von Bitcoin Cash sei. BSV existiert bis heute als separate Kryptowährung, allerdings mit deutlich geringerer Akzeptanz und Marktkapitalisierung. Die Folgen des Splits waren verheerend für BCH. Vertrauen wurde zerstört, Entwicklerressourcen fragmentiert, die öffentliche Wahrnehmung beschädigt. Bitcoin Cash verlor massiv an Wert und Relevanz.
Aktueller Stand 2024/2025: Wo steht BCH heute?
Lass uns ehrlich sein – Bitcoin Cash hat die großen Erwartungen nicht erfüllt. Die Vision, das dominante globale Zahlungssystem zu werden, ist nicht Realität geworden. Stattdessen fristet BCH ein Nischendasein, weit hinter Bitcoin, Ethereum und sogar vielen neueren Projekten. Im Oktober 2025 notiert BCH bei etwa 350-550 Dollar (je nach Quelle und Zeitpunkt). Die Marktkapitalisierung liegt im Bereich von 7-11 Milliarden Dollar. Das klingt nach viel, ist aber weit entfernt von den Höchstständen 2017/2018.
Prognosen für die kommenden Jahre sind… optimistisch verhalten. Analysten erwarten für 2025 eine Spanne zwischen 250 und 800 Dollar. Langfristig (bis 2030) werden Preise zwischen 500 und 4.000 Dollar genannt – eine enorme Bandbreite, die zeigt, wie unsicher die Zukunft ist.
Technische Entwicklungen und Features
Trotz aller Rückschläge entwickelt sich das BCH-Protokoll weiter. Einige nennenswerte Updates:
- CashTokens: Im Mai 2023 eingeführt, ermöglichen sie das Erstellen von fungiblen und non-fungiblen Tokens direkt auf der BCH-Chain. Ein Versuch, DeFi-Funktionalität zu integrieren.
- CashFusion: Eine Privacy-Technologie, die Transaktionen verschleiert – ähnlich wie CoinJoin bei Bitcoin.
- Schnorr Signatures: Effizientere kryptographische Signaturen, die Transaktionsgrößen reduzieren.
- Adaptive Block Size Limit: Die maximale Blockgröße wurde auf 32 MB erhöht, mit Diskussionen über weitere Erhöhungen.
Diese Features zeigen: Die technische Community hinter BCH ist aktiv. Doch die Adoption bleibt das Kernproblem.
Adoption und Use Cases
Händlerakzeptanz? Begrenzt. Während einige Online-Shops und physische Geschäfte BCH akzeptieren (besonders in Australien, Tokio und bestimmten libertären Communities), ist die Verbreitung marginal im Vergleich zu BTC oder sogar Stablecoins.
Ein interessanter Use Case: Remittances. In Ländern mit hohen Überweisungsgebühren (z.B. Venezuela, Philippinen) wird BCH vereinzelt genutzt, um Geld günstig zu transferieren. Die niedrigen Fees sind hier tatsächlich ein Vorteil. Auch als Spenden-Medium findet BCH Anwendung, besonders bei Organisationen, die auf Krypto-Donations setzen. Doch auch hier dominiert Bitcoin.
Community und Governance
Die BCH-Community ist klein, aber engagiert. Mehrere Entwicklerteams arbeiten an unterschiedlichen Node-Implementierungen (Bitcoin ABC hat sich mittlerweile abgespalten und eCash/XEC gegründet – ja, noch ein Fork!). Bitcoin Cash Node (BCHN) ist derzeit die führende Implementation.
Governance erfolgt dezentral, hauptsächlich über Community-Diskussionen und Miner-Signalisierung. Ein strukturiertes Governance-Modell wie bei Ethereum fehlt – was sowohl Stärke (Dezentralisierung) als auch Schwäche (langsame Entscheidungsfindung) ist.
Kritische Betrachtung: Stärken und Schwächen
Was läuft gut?
- Niedrige Fees: Transaktionen kosten Cents, nicht Dollars.
- Schnelle Bestätigungen: Durch größere Blöcke werden Transaktionen zügig verarbeitet.
- Technische Innovation: Features wie CashTokens zeigen, dass Entwicklung stattfindet.
- Ideologische Klarheit: BCH weiß, was es sein will – ein Zahlungsmittel.
Was läuft nicht?
- Mangelnde Adoption: Trotz besserer technischer Eigenschaften (für Payments) wird BCH kaum genutzt.
- Fragmentierte Community: Die Splits 2017 und 2018 haben bleibende Schäden hinterlassen.
- Marketing-Problem: Bitcoin dominiert narrativ – „Bitcoin“ assoziiert man nicht mit BCH.
- Sicherheitsbedenken: Geringere Hash-Rate im Vergleich zu BTC bedeutet theoretisch höhere Angreifbarkeit.
Ein fundamentales Paradoxon: BCH wollte das bessere Bitcoin sein, aber Bitcoin hat sich trotz (oder wegen?) seiner Limitierungen als digitales Gold etabliert. Der Markt hat entschieden – nicht primär auf Basis technischer Überlegenheit, sondern auf Basis von Netzwerkeffekten, Branding und Liquidität.
Ausblick: Wohin führt der Weg?
Die nächsten Jahre werden zeigen, ob BCH eine Renaissance erleben kann. Einige Szenarien:
Bullish Case
- Payment-Adoption in Emerging Markets: Wenn BCH in Regionen mit schwacher Finanzinfrastruktur Fuß fasst, könnte die Nutzerbasis wachsen.
- DeFi-Integration über CashTokens: Falls Entwickler überzeugende Anwendungen bauen, entsteht Utility.
- Regulatorische Klarheit: Pro-Krypto-Regierungen (wie die Trump-Administration in den USA) könnten den gesamten Sektor beflügeln, BCH profitiert indirekt.
- Technologische Durchbrüche: Vielleicht gibt’s ein Killer-Feature, das BCH wieder relevant macht.
Bearish Case
- Weiterer Bedeutungsverlust: Stablecoins übernehmen die Payment-Rolle, die BCH anstrebt.
- Entwickler wandern ab: Ohne finanzielle Anreize und große Community verliert BCH Talent.
- Netzwerksicherheit sinkt: Wenn Mining unrentabel wird, könnten 51%-Angriffe realistischer werden.
- Irrelevanz: BCH wird zum historischen Fußnote – interessant für Blockchain-Historiker, aber praktisch tot.
Realistische Einschätzung
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit dazwischen. BCH wird weder komplett verschwinden noch zur Top-3-Kryptowährung aufsteigen. Es wird eine Nische behalten – genutzt von einer treuen Community, die an die ursprüngliche Bitcoin-Vision glaubt.
Für Investoren bedeutet das: Hohes Risiko, moderates Potenzial. Preissteigerungen sind möglich (besonders in Bullenmärkten), aber ein „Moon“-Szenario ist unwahrscheinlich. Wer BCH hält, sollte das aus ideologischen Gründen tun, nicht aus reiner Profiterwartung.
Die größere Frage: Was lehrt uns BCH?
Über die reine Technologie hinaus ist Bitcoin Cash ein faszinierendes Fallbeispiel für Governance, Community-Dynamiken und die Macht von Narrativen.
BCH hatte – objektiv betrachtet – für lange Zeit bessere technische Eigenschaften für Payments. Niedrigere Fees, schnellere Transaktionen, größere Kapazität. Und trotzdem „gewann“ Bitcoin. Warum? Weil Krypto nicht nur Technologie ist, sondern auch Story, Branding, Netzwerkeffekte.
Bitcoin als „digitales Gold“ ist ein mächtiges Narrativ. BCH konnte nie ein ähnlich überzeugendes Gegennarrativ etablieren. „Bitcoin, aber besser für Payments“ ist… naja, nicht sexy genug.
Die harten Forks zeigen, wie schwierig Governance in dezentralen Systemen ist. Ohne klare Entscheidungsstrukturen können ideologische Differenzen zur Fragmentierung führen. Ethereum hat aus diesen Fehlern gelernt und strukturiertere Prozesse etabliert.
Die toxischen Auseinandersetzungen (Roger Ver vs. Core-Entwickler, dann Roger Ver vs. Craig Wright) haben langfristigen Schaden angerichtet. Personal conflicts destroyen Communities – eine Lektion, die über Krypto hinausgeht.
Fazit: Ein unvollendetes Experiment
Bitcoin Cash ist nicht gescheitert, aber auch nicht erfolgreich. Es existiert in einem Zustand des… Schwebens. Weder tot noch lebendig, weder irrelevant noch bedeutend.
Die ursprüngliche Vision – Bitcoin als globales Zahlungssystem zu etablieren – wurde nicht erreicht. Stattdessen haben Stablecoins (USDT, USDC) diese Nische übernommen. Lightning Network entwickelt sich für Bitcoin selbst zu einer Skalierungslösung, die viele Argumente für BCH obsolet macht.
Doch vielleicht ist das nicht das Ende der Geschichte. Krypto ist jung, Märkte sind irrational, und technologische Überlegenheit setzt sich manchmal doch durch – nur später als erwartet.
Wenn du BCH beobachtest, beobachtest du ein Experiment in Echtzeit. Ein Experiment darüber, ob reine technische Verbesserungen ausreichen, um etablierte Netzwerke herauszufordern. Ein Experiment über Community, Dezentralisierung, und die Frage: Was ist Bitcoin wirklich? Die Antwort? Steht noch aus. Und das macht es verdammt interessant.
Quellen
- Hackernoon – The Great Bitcoin Scaling Debate: A Timeline
https://medium.com/hackernoon/the-great-bitcoin-scaling-debate-a-timeline-6108081dbada
Detaillierte Timeline der Blocksize-Debatte von 2015-2017. - Wikipedia – Bitcoin Cash
https://de.wikipedia.org/wiki/Bitcoin_Cash
Grundlegende Informationen zu Entstehung und technischen Details des Forks. - Markets.com – Learn The History Behind Bitcoin Cash Split
https://www.markets.com/education-centre/history-behind-bitcoin-cash-split
Hintergründe zum Fork mit Fokus auf Gebühren und Bestätigungszeiten 2017. - CCN – Bitcoin SV: Reassessing ‚Satoshi’s Vision‘ 100 Days After the BCH Divorce
https://www.ccn.com/bitcoin-sv-crypto-hard-fork-100-days-later/
Analyse des BCH/BSV-Splits vom November 2018. - Decrypt – Craig Wright on Bitcoin Cash Fork: ‚We Will Bleed Them‘
https://decrypt.co/3995/craig-wright-bitcoin-cash-hard-fork
Berichterstattung über den Hash War zwischen ABC und SV. - Coinpedia – Bitcoin Cash Price Prediction: 2023, 2024, 2025
https://coinpedia.org/price-prediction/bch-bitcoin-cash-price-prediction/
Aktuelle Preisprognosen und Marktanalyse für BCH. - CoinCodex – Bitcoin Cash (BCH) Price Prediction 2025-2030
https://coincodex.com/crypto/bitcoin-cash/price-prediction/
Technische Analyse und Preisprognosen basierend auf aktuellen Indikatoren.